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Autismus - Eine besondere Art zu leben

Wenn ihr im Lexikon nachschlagt, was Autismus ist, werdet ihr eine medizinische Erklärung finden, mit der ihr wahrscheinlich wenig anfangen könnt. Dort wird Autismus als "angeborene tiefgreifende Entwicklungsstörung" bezeichnet. Viele mehr oder weniger schlaue Köpfe haben versucht, eine eindeutige Definition für Autismus zu finden. Aber was können wir uns darunter nun eigentlich vorstellen und was bedeutet es für Menschen, mit Autismus zu leben? Hier könnt ihr einige Beispiele aus dem Leben von Autisten kennenlernen. Denn Autismus ist keine "Theorie", sondern eine besondere Art und Weise zu leben und seine Umwelt wahrzunehmen.

Es gibt nicht den Autisten oder die Autistin. Jeder unterscheidet sich vom anderen, so wie auch jeder Nicht-Autist sich von seinen Mitmenschen unterscheidet. In der Vergangenheit wurden Menschen mit Autismus in mehrere Typen eingeteilt: in so genannte "Kanner-", "Asperger-" und "atypische" Autisten. Da sich viele Besonderheiten und Probleme von Menschen mit Autismus überschneiden und nicht voneinander abzugrenzen sind, spricht man inzwischen meist von einem "Autismus-Spektrum" - damit ist ein einziger großer Bereich zum Thema Autismus gemeint.

Es gibt aber auch viele Unterschiede, so dass eine einzige gültige Definition für alle Autisten nahezu unmöglich ist. Abgeleitet wird das Wort "Autismus" vom griechischen "autos", das "selbst" bedeutet. Damit soll ausgedrückt werden, dass ein Autist sehr mit sich selbst beschäftigt ist. Manche Autisten ziehen sich tatsächlich oft zurück. Manchmal scheint es aber auch nur so, als ob ein Autist keinen Kontakt zu anderen haben möchte und eigentlich wünscht er sich Freunde, mit denen er etwas unternehmen kann.

Aber was ist denn nun eigentlich anders bei Menschen mit Autismus?

Eine veränderte Wahrnehmung
Puzzleteile werden international als Symbol für Autismus verwendet. Eine mögliche Deutung dafür ist, dass viele verschiedene Dinge beachtet werden müssen, um Autismus zu erklären. Eine andere ist, dass Autisten vieles im Umgang mit anderen oder bei ihrer Art der Wahrnehmung nach und nach dazulernen können, um im Alltag besser zurechtzukommen.

Autisten haben eine veränderte Wahrnehmung. Das bedeutet, dass bei Menschen mit Autismus die Sinneseindrücke zu stark, zu schwach oder verzögert auftreten. Sie sehen, riechen, hören, schmecken oder fühlen eventuell anders, als das normalerweise der Fall ist. Das kann zum Beispiel dazu führen, dass man bei bestimmten Geräuschen Schmerzen im Ohr hat. Stellt euch vor, jemand würde euch ständig mit einer Trillerpfeiffe ins Ohr pusten. Einem Autisten geht es manchmal ähnlich, wenn viele Menschen gleichzeitig miteinander sprechen, wenn er einen Hubschrauber hört oder vielleicht auch, wenn die Kirchenglocken läuten. Es kommt dabei gar nicht unbedingt auf die Lautstärke, sondern auf die Art und die Tonhöhe des Geräusches an.

Autisten fehlt häufig auch der so genannte "Partyfilter", den andere Menschen haben: Stellt euch vor, ihr seid auf einem Fest oder einer Party und unterhaltet euch mit jemandem. Um den anderen verstehen zu können, müsst ihr die laute Musik, die anderen sprechenden Personen im Raum und alle Geräusche in den Hintergrund verbannen, um euch auf das Gesprochene konzentrieren zu können, das ihr verstehen wollt. Autisten können das häufig nicht, denn alles ist und bleibt gleich laut und das nicht nur auf einer Party, sondern auch im normalen Alltag: im Straßenverkehr, im Klassenzimmer, in der Sporthalle und so weiter. Dann kommt es zu einem so genannten "Overload" (aus dem Englischen übersetzt heißt es Überladung oder Überlastung). Es ist nicht schwer sich vorzustellen, dass das sehr anstrengend ist und für die Ohren schmerzhaft sein kann. Das Video unter diesem Artikel vermittelt euch einen Eindruck davon, was das für Autisten bedeuten kann.

Unterschiede bei der Wahrnehmung gibt es auch beim Empfinden von heiß und kalt. Manche Autisten fühlen etwas Heißes erst nach längerer Zeit, so dass sie kein Schmerz vor Verletzungen warnt. Auch normale Berührungen können für Autisten unangenehm sein, so dass ein freundschaftlich gemeintes Umarmen für einen Menschen mit Autismus unerträglich ist. Es kann auch sein, dass die autistische Wahrnehmung es unmöglich macht, einen bestimmten Geruch auszuhalten. Manche Autisten können bestimmte Lebensmittel nicht essen, weil der Geschmack für sie extrem scharf oder bitter ist, obwohl das Lebensmittel dafür üblicherweise nicht bekannt ist.

Bei einigen Menschen mit Autismus vermischen sich verschiedene Wahrnehmungsbereiche, so dass sie zum Beispiel Erdbeergeschmack auf der Zunge haben, wenn sie die Zahl "5" sehen oder vielleicht Musik hören, wenn sie das Wort "Marmelade" lesen - oder warme Haut bekommen, wenn sie die Farbe "Grün" sehen. Das sind nur mögliche Beispiele, die man unzählig fortführen könnte. Man nennt diese Art der Wahrnehmung "Synästhesie". Dieses Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet, dass etwas "zugleich wahrgenommen" wird.
Ein für uns ungewohntes Verhalten

All diese unterschiedlichen Arten der Wahrnehmung führen zu einem Verhalten, das möglicherweise auf uns befremdlich wirkt und von dem, was für uns normal ist, abweicht. So wirft sich vielleicht ein autistisches Kind schreiend auf den Boden, weil es versucht, ein anderes Geräusch, das ihm im Ohr Schmerzen bereitet, zu übertönen. Oder ein Mensch mit Autismus läuft aufgeregt davon, um sich vor einer Menschenmenge, die ihn berühren könnte, in Sicherheit zu bringen. Es könnte auch sein, dass ein Geruch als extrem unangenehm wahrgenommen wird und ein autistischer Mensch auf Abstand geht. Das wird vielleicht als Unhöflichkeit bewertet, obwohl es eine Reaktion ist, die andere Menschen auch zeigen würden, wenn zum Beispiel ein Kuhfladen vor ihren Füßen landet.

Wichtig dabei ist zu wissen, dass Autisten sich niemals so verhalten, weil sie andere ärgern, unhöflich behandeln oder ihnen sogar schaden wollen. Im Gegenteil: Sie versuchen, in unserer gemeinsamen Welt mit ihren vielen Geräuschen, Gerüchen und Menschen klarzukommen. Allerdings gelingt das nicht immer und daher habt ihr vielleicht auch schon einmal gesehen, dass sich ein Autist auffällig und ungewöhnlich verhält. Wichtig ist, dass nicht jeder Autist alle diese Besonderheiten in der Wahrnehmung hat und diese auch nicht gleich stark ausgeprägt sind. Manche haben vielleicht nur mit Geräuschen Probleme, andere wiederum mit Gerüchen, wiederum andere mit mehreren Wahrnehmungsarten zugleich. Wie schon am Anfang beschrieben, ist jeder Autist anders, so wie auch alle anderen Menschen verschieden sind.

Mitfühlend wie andere Menschen auch

Autisten können Gesichtsaudrücke anderer Menschen nicht unbedingt deuten und müssen erst lernen, traurige, fröhliche, erstaunte oder wütende Gesichter zu erkennen. Dies führt oft zu Missverständnissen.
Autisten wird manchmal nachgesagt, sie könnten sich kaum in andere Menschen einfühlen oder wären sogar gleichgültig gegenüber den Gefühlen anderer. Das stimmt aber nicht, nur führt die Art der Wahrnehmung autistischer Menschen oft zu Missverständnissen. Viele Autisten können Gesichtsaudrücke anderer Menschen nicht deuten. Das heißt, dass sie nicht erkennen, ob jemand ein verschmitztes Grinsen auf den Lippen hat, wütend schaut oder ein trauriges Gesicht macht.

Ihr könnt euch sicher vorstellen, dass es zu einigen missverständlichen Situationen kommen kann, wenn jemand weint und traurig ist und ein Mensch mit Autismus dies nicht erkennt und nicht beachtet oder sogar lacht. Das liegt nicht daran, dass der Autist nicht versteht, warum jemand traurig ist. Ein Autist kennt - wie andere auch - unterschiedliche Stimmungen und Gefühle und kann genauso mitfühlend sein wie andere Menschen, er kann die Stimmung anderer nur nicht automatisch am Gesichtsausdruck ablesen. Manche Menschen mit Autismus lernen die Mimik anderer Menschen daher wie Vokabeln auswendig: Sie haben Karten mit fotografierten Gesichtern, die zum Beispiel traurig, glücklich oder ängstlich schauen und lernen, welcher Gesichtsausdruck was bedeutet.

Es fällt manchen Autisten auch schwer, anderen Menschen länger in die Augen zu sehen. Der direkte Blickkontakt ist anstrengend und unangenehm für sie, weil Gesichter ständig in Bewegung sind und sich verändern. Da sie sich bereits darauf konzentrieren müssen, die Worte in einem Gespräch richtig zu deuten, sehen Autisten andere oft nur flüchtig an oder gucken sogar konsequent an ihren Mitmenschen vorbei. Das ist nicht unhöflich gemeint und soll auch nicht ausdrücken, dass der- oder diejenige kein Interesse am anderen hat. Die 14-jährige Autistin Hanna sagt: "Ich gucke immer im Raum herum, wenn ich mit anderen spreche, aber ich spreche trotzdem mit ihnen. Manchmal versuche ich dann doch mal hinzugucken, aber das ist anstrengend."

Wenn der Körper nicht so will wie der Kopf

Viele Autisten haben Schwierigkeiten bei Bewegungsabläufen und können zum Beispiel Aufgaben wie das Zubinden der Schuhe, die uns selbstverständlich erscheinen, oft nicht ohne Hilfe bewältigen.
Äußerlich kann man den Autismus nicht sehen - Autisten sehen aus wie andere Menschen eben auch. Aber vielleicht habt ihr schon mal einen autistischen Mitschüler gesehen, der irgendwie komisch läuft. Vielleicht stellt sie oder er sich auch beim Ballfangen ungeschickt an, lässt häufig Gegenstände fallen oder hat Schwierigkeiten, einen Stift beim Schreiben gut zu halten. Dafür können Autisten natürlich nichts. Es fällt ihnen manchmal schwer, ihre Bewegungen zu kontrollieren. Vielleicht wollt ihr selbst mal ausprobieren, wie es ist, wenn bei der Wahrnehmung und bei Bewegungsabläufen manches nicht so funktioniert, wie man das gerne will. Hier ein paar Vorschläge:
Leiht euch ein Fernglas aus und haltet es euch verkehrt herum vor die Augen. Dann versucht, mit der anderen Hand ein Glas mit Wasser einzuschenken.

Nehmt einen kleinen Spiegel und haltet ihn fast senkrecht hinter ein Blatt Papier, das auf dem Tisch liegt und auf das eine verschlungene Linie gemalt ist. Dann versucht mit einem Stift, diese Linie nachzumalen. Dabei aber nicht direkt auf das Blatt gucken, sondern nur auf das Spiegelbild.
Damit man nicht so leicht schummeln kann, könnte jemand ein Stück Pappe zwischen dein Gesicht und die malende Hand halten.
Versucht mal mit Boxhandschuhen eure Schuhe zuzubinden.
Stellt drei Radios mit drei verschiedenen Programmen in gleicher Lautstärke nebeneinander. Dann versucht, euch auf eine der drei Sendungen zu konzentrieren und den Inhalt anschließend zu erzählen. Das kann man auch mit drei Freunden versuchen.
Alltägliches und der Wunsch nach Ordnung

Struktur und Ordnung sind im Leben von Autisten besonders wichtig. 

Hier hat ein kleiner Junge seine Spielsachen sorgfältig sortiert und aufgereiht - eine Handlung, die man bei autistischen Kindern häufig beobachtet.
Die Besonderheiten bei der Wahrnehmung bringen Unordnung, Chaos und Unsicherheit ins Leben. Ihr könnt euch jetzt sicher gut vorstellen, dass es für Autisten manchmal sehr schwer ist, sich gut und lange auf etwas zu konzentrieren. Sie brauchen eine möglichst gleichbleibende und bekannte Umgebung, in der sie nicht durch Geräusche, Gerüche und anderes abgelenkt werden. Sehr viele Menschen mit Autismus konzentrieren sich auch gerne auf Einzelheiten, verlieren dann aber leicht den Überblick über das große Ganze. Daher brauchen sie Struktur und Ordnung in ihrem Leben.
Das bedeutet zum Beispiel, dass Möbel in Zimmern an festen Plätzen stehen und dort auch bleiben sollen. Es kann auch bedeuten, dass jeder Tag nach dem gleichen Muster ablaufen muss: zur gleichen Zeit aufstehen, essen, Hobbys nachgehen, Fernsehen schauen und wieder ins Bett gehen. Oder es kann heißen, dass an bestimmten Tagen oder auch mehrere Tage hintereinander immer dieselben Dinge gegessen werden. Diese Gewohnheiten sind sehr verschieden und dienen dazu, Struktur, Ordnung und damit Sicherheit ins Leben zu bringen.

Wenn Veränderungen im Tagesablauf zu erwarten sind, sollte man mit einem Autisten darüber vorher sprechen, damit er nicht überrumpelt wird und sich darauf einstellen kann. So kann es einen Mitschüler mit Autismus zum Beispiel sehr durcheinander bringen, wenn Schulstunden verschoben werden oder ausfallen, plötzlich ein anderer Lehrer in die Klasse kommt oder Plätze vertauscht werden. Auch Klassenfahrten können möglicherweise eine große Herausforderung für Kinder mit Autismus sein, da der Tagesablauf und die Umgebung eine andere sind. Manche Autisten haben einen Schulbegleiter, der sie bei all diesen Aufgaben unterstützt und hilft, Probleme zu lösen. Hanna sagt: "Die Lautstärke in der Schule ist manchmal ganz schlimm für mich. Ich kann die vielen Stimmen nicht unterscheiden und höre den Lehrer nicht mehr. Es ist dann nur noch Schmerz in meinem Kopf." Ihre Schulbegleiterin darf dann mit ihr das Klassenzimmer verlassen und manche Aufgaben in einem anderen, ruhigeren Zimmer lösen.

Manchmal verfallen Autisten in so genannte "Stereotypien" (aus dem Griechischen übersetzt bedeutet "stereo" haltbar oder fest). 
Damit ist ein Verhalten gemeint, das sich ständig wiederholt, also starr und festgelegt ist. Zum Beispiel wippen sie ständig mit dem Körper vor und zurück, drehen einen Strohhalm immer und immer wieder, laufen im Raum auf und ab, wackeln mit dem Kopf oder lecken etwas wiederholt ab. Das wirkt auf andere vielleicht komisch und sie erkennen keinen Sinn dahinter, aber Menschen mit Autismus tun das, um sich selbst durch eine gleichbleibende Handlung zu beruhigen und sich von dem, was sie um sich herum als Chaos empfinden, abzugrenzen. Sie finden in den immer wiederkehrenden Bewegungen und Tätigkeiten Sicherheit und verhindern damit, dass sie einen "Overload" bekommen.

Ein anderes Verständnis von Sprache

Autisten sagen meist direkt, offen und deutlich, was sie denken oder wollen und verstehen das, was gesagt wird, wörtlich. Dadurch gibt es manchmal Missverständnisse, wenn wir Sprichwörter, Redewendungen oder ironische Ausdrücke benutzen, die etwas anderes sagen als das Gemeinte.
Autisten verstehen das, was gesagt wird, meist wörtlich. Dadurch gibt es manchmal Missverständnisse, wenn wir Sprichwörter, Redewendungen oder ironische Ausdrücke benutzen, die etwas anderes sagen als das Gemeinte. So kann ein Autist nur schwer oder gar nicht nachvollziehen, warum man nach einem Sturz mit dem Fahrrad zum Beispiel sagt: "Na toll! Das ist ja super!"
Natürlich meinen wir in dem Moment eigentlich genau das Gegenteil. Aber Autisten nehmen das Gesagte wörtlich und erkennen nicht unbedingt, wenn etwas ironisch oder bildlich gemeint ist. Vielleicht habt ihr schon einmal zu jemandem gesagt: "Hast du noch alle Tassen im Schrank!?" Dabei wollt ihr natürlich nicht wissen, ob im Küchenschrank desjenigen alle Tassen vollständig sind, sondern ihr wolltet ihm mitteilen, dass er nochmal über das nachdenken sollte, was er gerade gesagt oder getan hat. Ein Autist versteht diese Redewendung möglicherweise wörtlich oder kann zumindest nicht deuten, wie dieser Satz gemeint ist.

Natürlich können wir es ihm erklären, aber solche Floskeln sind für ihn nicht automatisch verständlich. Meist verwenden wir solche Sätze im Alltag, ohne weiter darüber nachzudenken. "Hast du Tomaten auf den Augen?" ist ein weiteres Beispiel, euch fallen bestimmt noch andere ein. Umgekehrt benutzen Menschen mit Autismus eine eindeutige und unmissverständliche Sprache. Sie sagen direkt und offen, was sie meinen.

Wie unterhält man sich mit einem Autisten?

Es gibt Autisten, die überhaupt nicht, wenig oder sogar viel sprechen. Unterhalten kann man sich mit ihnen allen, denn es gibt viele Möglichkeiten, sich auszutauschen - zum Beispiel über Zeichen- und Gebärdensprache.
Es gibt Autisten, die überhaupt nicht, wenig oder sogar viel sprechen. Unterhalten kann man sich mit allen. Denn wenn ein Mensch nicht spricht, heißt das nicht, dass er nichts zu sagen hat oder es nicht möchte. Es gibt viele Möglichkeiten, sich mit autistischen Menschen auszutauschen.
Menschen mit Autismus, die keine Lautsprache haben, teilen sich zum Beispiel über Gebärdensprache mit, oder indem sie auf Buchstabentafeln und Computern schreiben. Manche wählen auch mit Hilfe unterschiedlicher Bild- oder Wortkarten aus, was sie tun oder haben möchten. Wege zu finden, über die man sich austauschen, miteinander sprechen, Wünsche und Gedanken vermitteln kann, ist für nicht-sprechende Autisten besonders wichtig. Denn wenn diese Wege nicht gefunden werden, sind sie verständlicherweise frustriert, weil sie nicht verstanden werden, sich nicht mitteilen können und zum Beispiel niemand erkennt, dass sie Schmerzen haben, etwas brauchen oder sich etwas wünschen. Daniel schreibt auf einer Buchstabentafel: "Das Reden will raus und ich fühle immer wieder, wie es in mir eingeschlossen bleibt. Es ist gut zu schreiben."

Es gibt auch Autisten, die sehr viel oder auch ganz normal sprechen, manchmal aber trotzdem auffallen, weil sie für uns ungewohnte Worte und Formulierungen wählen oder besonders deutlich und höflich sprechen. Vielleicht hört sich das dann für unsere Ohren komisch oder sogar lustig an, wenn jemand sagt: "Ich möchte mich jetzt sehr gerne von diesem Stuhl auf das Sofa dort drüben setzen, bitte." Denkt doch mal darüber nach, ob ihr jemanden kennt, der manchmal genau wegen solcher Sätze ausgelacht wird.
Wir hatten schon das Thema, dass Menschen mit Autismus viel Struktur in ihrem Leben brauchen. Dies zeigt sich auch in der Sprache: Sie wird sehr deutlich, gut überlegt und genau verwendet. Für uns, die wir oft schnell etwas loswerden wollen, klingt das dann möglicherweise umständlich und gestelzt, oberschlau, fremd und manchmal sogar zu direkt. Darüber zu lachen ist nicht der richtige Weg, denn das führt dazu, dass Menschen mit Autismus noch mehr ausgegrenzt werden. Vielleicht kann man das auch zum Anlass nehmen darüber nachzudenken, was man selbst den ganzen Tag so erzählt. 
Das kann sehr interessant und lustig sein.

Man geht inzwischen davon aus, dass es bei Menschen mit Autismus verhältnismäßig genauso viele Menschen mit einer geistigen Behinderung gibt wie beim Rest der Bevölkerung auch. Auch wenn sie sich manchmal für uns seltsam verhalten und vielleicht auch nicht sprechen, sind Autisten nicht weniger intelligent als alle anderen.
Hier ist es oft erstaunlich und für uns schwer zu verstehen, dass ein Mensch mit Autismus zum Beispiel sehr gut in Mathe oder Englisch oder auch einem anderen Fach ist, aber es nicht schafft, sich allein die Schuhe zuzubinden oder den Schulweg ohne Hilfe mit dem Bus zu bewältigen. Es gibt erwachsene Autisten, die zum Beispiel Physik studieren, sich aber nicht selbstständig ein Brot schmieren können. Vielleicht könnt ihr euch vorstellen, dass es nicht einfach ist, mit diesen Einschränkungen zu leben und dass es auch frustrierend ist, wenn man deshalb ausgelacht oder als dumm bezeichnet wird. Es ist bei den meisten Menschen mit Autismus einfach so, dass sie bei manchen alltäglichen Dingen immer auf Hilfe angewiesen sein werden, aber trotzdem normal intelligent sind und auch ein glückliches Leben führen können.

Manchmal haben Autisten allerdings noch zusätzlich eine Behinderung, die zu anderen Besonderheiten, Problemen oder Beeinträchtigungen führen kann. So haben sie in einigen Fällen zum Beispiel Epilepsie oder bestimmte genetische (also erblich bedingte) Syndrome wie das Rett-Syndrom, das Angelman-Syndrom oder das fragile X-Syndrom. Diese genetischen Erkrankungen äußern sich unterschiedlich und müssten in eigenen Beiträgen genauer beschrieben werden.

Nicht unbedingt hochbegabt

Es hält sich das Gerücht, dass alle Autisten irgendetwas ganz besonders gut können und zum Beispiel Genies in Mathe sind. Es gibt wirklich Autisten, auf die das zutrifft, aber das sind Ausnahmen.
Es hält sich auch das Gerücht, dass Autisten irgendetwas ganz besonders gut können, Genies in Mathe sind oder Landkarten und Telefonbücher auswendig lernen. Es gibt wirklich Autisten, auf die das zutrifft, aber das sind Ausnahmen. Sie zählen zu den "Inselbegabten" oder "Savants" (englisch für "Wissende") - so nennt man Menschen mit verschiedenen so genannten Entwicklungsstörungen oder Behinderungen, die in einem speziellen Teilbereich stark überdurchschnittlich talentiert sind.

Da über ihre besonderen Fähigkeiten im Zusammenhang mit Autismus in den Medien immer wieder berichtet wird und der Film "Rain Man" sehr bekannt ist, in dem ein Autist mit einer Inselbegabung die Hauptrolle spielt, entsteht der Eindruck, dass das typisch für Autisten wäre. Das ist aber nicht der Fall: Menschen mit Autismus haben - wie gesagt - meist eine ganz normale Intelligenz, so wie andere auch. Ebenso wie in der übrigen Bevölkerung gibt es unter ihnen aber auch außergewöhnliche Talente und Hochbegabte. Ein besonderes Talent vieler Autisten ist zum Beispiel damit verbunden, dass sie auf eine andere Art sehen als wir und ihnen deshalb auch andere Sachen auffallen, die Nicht-Autisten oft verborgen bleiben. Es kann eine große Bereicherung für alle Menschen sein, wenn Autisten durch ihren besonderen Blickwinkel Lösungswege finden, die andere nicht erkennen können.

Autisten und Nicht-Autisten leben in derselben Welt

Autisten und Nicht-Autisten leben alle in derselben Welt, nur jeder nimmt sie auf seine Art und Weise wahr. Es stimmt auch nicht, dass Autisten im Allgemeinen keinen Kontakt zu anderen Menschen haben wollen. 
Manchmal wird gesagt, dass Autisten in einer anderen, eigenen Welt leben. Das vermittelt einen falschen Eindruck, denn natürlich leben wir alle in derselben Welt, nur jeder nimmt sie auf seine Art und Weise wahr. Es stimmt auch nicht, dass Autisten im Allgemeinen keinen Kontakt zu anderen Menschen haben wollen. Vielleicht wirkt es manchmal so, wenn sich ein Mensch mit Autismus oft zurückzieht, überhaupt nicht oder nur wenig spricht. Das muss aber nicht bedeuten, dass er seine Mitschüler oder Mitmenschen nicht mag oder nichts mit ihnen zu tun haben möchte.
Um Missverständnissen vorzubeugen, wäre es schön, wenn ihr das Gespräch mit jemandem sucht, der "anders" ist und den ihr nicht versteht. Vielleicht ist es manchmal besser, einen Tag abzuwarten und dann zu fragen, wie ein Satz oder ein bestimmtes Verhalten gemeint war, das ihr nicht verstehen konntet. Der zwölfjährige Autist Peter sagt: "Mein größter Wunsch ist, dass mich mal jemand fragt, ob wir was zusammen machen wollen. Ich selbst traue mich nicht mehr, weil viele über mich lachen."

Wie entsteht Autismus?

Man geht davon aus, dass bei Autisten Informationen im Gehirn anders verarbeitet werden als bei anderen Menschen. Hier sieht man, dass bei einer Bewegungsaufgabe bei Autisten andere Hirnregionen genutzt werden (gelb markiert) als bei anderen Testpersonen (blau). 
Vor einigen Jahren ging man noch davon aus, dass Autismus sehr selten vorkommen würde. Heute spricht man davon, dass etwa vier bis sieben von 1.000 Menschen Autisten sind. Man ist sich nicht darüber einig, ob die Anzahl der Autisten zugenommen hat oder ob Ärzte und Therapeuten inzwischen besser über Autismus informiert sind und diesen daher häufiger erkennen.

Früher dachte man, dass Menschen mit Autismus schlecht erzogen worden wären oder gefühlskalte Mütter hätten. Mittlerweile weiß man, dass das Unsinn ist und die Ursachen für die veränderte Wahrnehmung ganz woanders liegen. Man geht davon aus, dass es verschiedene Gründe gibt, die zusammenkommen müssen, damit sich ein so genanntes autistisches Syndrom entwickelt. Vermutlich spielt eine bestimmte Veränderung bei den Erbanlagen eines Menschen (man spricht von der "genetischen Disposition") eine Rolle. Dafür spricht eventuell, dass etwa vier mal so viele Jungen von Autismus betroffen sind wie Mädchen. Das alleine führt aber noch nicht automatisch zum Autismus. Dafür sind noch weitere Einflüsse nötig, über die sich die Mediziner im Einzelnen noch nicht einig sind.

Manche sind der Auffassung, dass die zunehmende Vergiftung der Umwelt und damit der Lebensmittel und der Luft eine Rolle spielen. Andere machen Entzündungen im Körper, von denen man nicht immer selbst etwas bemerkt, für das Auftreten von Autismus verantwortlich. Auch manche Impfungen oder Darmerkrankungen stehen im Verdacht, Autismus auslösen oder begünstigen zu können. Wiederum andere Wissenschaftler beschreiben bei Autisten veränderte neurologische (die Nerven betreffende) Verknüpfungen im Gehirn. Das bedeutet, dass manche Informationen im Gehirn von Autisten anders verarbeitet werden, sozusagen andere Wege gehen und sich nicht in der gleichen Art und Weise miteinander verbinden, wie das bei anderen Menschen der Fall ist. Das könnte unter anderem der Grund dafür sein, dass Menschen mit Autismus anders und "synästhetisch" wahrnehmen.

Autismus ist keine Krankheit

Man erkennt Autismus nicht äußerlich. Bei manchen fällt er schon sehr früh im Alter zwischen einem und drei Jahren auf, bei anderen bemerkt man autistische Verhaltensweisen erst während der Schulzeit.
Menschen mit Autismus sind nicht krank. Ihr wisst jetzt, dass sie die Dinge in unserer Welt anders wahrnehmen als ihre Mitmenschen. Bei manchen Autisten fällt das schon sehr früh im Alter zwischen einem und drei Jahren auf, bei anderen bemerkt man autistische Verhaltensweisen erst später während der Schulzeit. Man kann dieses Anderssein nicht heilen und viele Autisten, die sich darüber Gedanken machen, wollen das auch gar nicht, weil der Autismus ein Teil ihrer Persönlichkeit ist. Wenn sie keine Autisten mehr wären, dann wären sie nicht mehr dieselben Menschen.
Trotzdem kann und sollte man dort, wo Schwierigkeiten auftreten, Hilfestellungen bieten. Autisten nehmen diese Unterstützung auch gerne an, weil sie sonst viele Dinge in ihrem Alltag nicht schaffen würden oder überfordert wären. Manche lernen in Therapien, mit alltäglichen Situationen wie Einkaufen, Busfahren, Gespräche führen, Zähneputzen und so weiter zurecht zu kommen. Sie wollen möglichst selbstständig werden und nicht immer Angst vor "Overloads", plötzlichen Berührungen und Veränderungen haben. 
Auch möchten sie, dass sie von anderen verstanden werden und umgekehrt besser verstehen, was in ihren Mitmenschen vorgeht. Dabei können bestimmte Strukturen und Gruppenübungen helfen, bei denen man zum Beispiel lernt, das Gesagte der anderen und deren Mimik richtig zu deuten.
Einige Autisten brauchen ein Leben lang Hilfe und Unterstützung, können aber trotzdem ein sehr glückliches Leben führen. Wichtig ist, dass man sie dabei nicht wie kranke Menschen behandelt, sondern ihnen mit Freundlichkeit, Verständnis und Respekt begegnet.

Auch Autisten haben gerne Freunde

Autisten ziehen sich häufig zurück, weil es Missverständnisse gibt oder Situationen sie aufgrund ihrer anderen Wahrnehmung überfordern. Doch auch sie wünschen sich Kontakt zu anderen Menschen und haben gerne Freunde. 
Autisten haben häufig nur sehr wenige Freunde. Viele denken, dass Autisten grundsätzlich lieber allein sein wollen, weil sie sich oft zurückziehen. In Wirklichkeit passiert dieser Rückzug aber meistens, weil es Missverständnisse gibt oder Situationen sie aufgrund ihrer anderen Wahrnehmung überfordern. Autisten freuen sich und sind traurig wie alle anderen auch, sie zeigen es nur anders oder manchmal auch gar nicht.

Menschen mit Autismus brauchen und wollen kein Mitleid, sondern wünschen sich, dass sie in ihrem Anderssein akzeptiert werden. So wie sie versuchen, in unserer lauten und schnellen Welt zurechtzukommen, wäre es schön, wenn sich ihre Mitmenschen bemühen, sie zu verstehen und kennenzulernen. Es kann sehr spannend sein, sich auf eine andere Form der Kommunikation einzulassen, zum Beispiel die Gebärdensprache zu lernen oder sich per iPad oder Talker mit seinem Gegenüber zu unterhalten - oder auch die eigene Art zu sprechen zu hinterfragen. Die daraus entstehenden neuen Sichtweisen auf viele Dinge in der Welt bereichern unser aller Leben und machen es bunter. Denn wir sind alle anders und gleichberechtigt, egal ob Autist oder nicht.

Jeder Mensch ist anders - und jeder Autist ist anders

Wir alle sind einzigartig, auch auch jeder Autist unterscheidet sich von anderen. Im Austausch mit autistischen Menschen eröffnen sich genauso Nicht-Autisten ganz neue Sichtweisen auf viele Dinge in der Welt, die unser aller Leben bereichern und es bunter machen.
Allen Autisten gemeinsam ist also eine mehr oder weniger andere Wahrnehmung, die meist zur Folge hat, dass sie sich anders verhalten und mitteilen. Dies führt oft zu Missverständnissen auf beiden Seiten, die man am besten klären kann, wenn man versucht, mit dem anderen zu sprechen und nachzufragen, warum etwas in einer bestimmten Art und Weise ist, warum etwas gesagt oder getan wurde und wie man sich vielleicht helfen kann. Wenn der Autist selbst nicht spricht, ist meist ein Elternteil oder ein Betreuer dabei, den man jederzeit freundlich fragen kann.

Wichtig ist noch einmal zu betonen, dass die hier beschriebenen Verhaltensweisen nicht immer und nicht auf alle Autisten zutreffen.
 Außerdem sind es nur Beispiele, die noch zahlreich mit den Erfahrungen von Menschen mit Autismus ergänzt werden könnten. Vielleicht liest hier auch der ein oder andere Autist mit und denkt: "Warum wurde nicht noch dies oder jenes geschrieben?", "Ich habe noch ein wichtiges Beispiel" oder "Mir geht es manchmal so und so". Dann scheut euch nicht, es in den Kommentaren anzumerken oder an die Redaktion zu schreiben. Man könnte eure Erfahrungen in einem weiteren Beitrag ergänzen - und wahrscheinlich auch ein dickes Buch darüber schreiben. :-)